Der Innovationspreis von Leipzig

Die Kundin kam aus Leipzig. Sie war Mitinhaberin einer Firma, die Internetlösungen anbietet und sich mit ihrer Erfindung „SaferSurf“ für den Innovations­preis der Stadt Leipzig bewarb. Von 147 Bewerbern wurden 135 aussortiert; die restlichen zwölf, darunter auch ihre Firma, kamen in die engere Wahl. Jeder dieser zwölf Bewerber musste nun seine Erfindung im Rahmen einer feierlichen Abendveranstaltung vor einer Jury präsentieren. Hochkarätige Prominenz aus Politik und Wirtschaft einschließlich des Oberbürgermeisters von Leipzig sollte darüber entscheiden, welche Firma die erfinderischste von ganz Sachsen sei.

Zwei Wochen vorher flog ich nach Leipzig zum Rhetorik-Coaching. Coaching, wie ich es verstehe, lässt sich am besten mit dem Ausdruck „individuelle Redevorbereitung“ umschreiben. Meine Kunden kannten mich bereits vom Seminar und wollten natürlich diesen Preis gewinnen. Ihnen war klar, dass jedes Gremium seine Entscheidung im Grunde immer aus dem Bauch heraus fällt; das ist bei einer Wettbewerbspräsentation natürlich nicht anders.

Die Firmeninhaber waren zu zweit: Er war der technische Kopf des Ganzen und sie zuständig für Marketing und Personalführung. Es ging zunächst um die Entscheidung, wer von den beiden am entscheidenden Abend präsentieren sollte. Ich ließ beide eine kurze Passage vortragen, und sofort war klar: Nicht der versierte Techniker, sondern sie war der bessere Präsentator. Als Nächstes fiel die Ent­scheidung: Wir verzichten auf PowerPoint! Die Erfindung dieser Firma war genial. Wer auf seinem Computer ein Virenschutzprogramm hat, weiß, dass regelmäßige Updates notwendig sind. Die Entwicklung dieser Firma machte solche Updates überflüssig: Sie setzt sich einfach in die zentrale Zuleitung beim Internetservice-Anbieter und wäscht dort in Echtzeit allen Virenmüll aus dem Datenstrom heraus. Der Kunde muss sich nie wieder um Viren oder Virenschutz-Updates auf seinem Rechner kümmern: Das tut der Internetservice-Anbieter, der halb­stündlich mit den aktuellsten Programmen gegen die im Umlauf befindlichen Viren versorgt wird, für ihn. Und das für 2 Euro.

Zwei Tage nahmen wir uns Zeit, um die Präsentation vorzubereiten – bis ich sicher sein konnte, dass die Erfindung auch der Jury unter die Haut gehen würde. Am Abend der großen Auswahl kamen alle zwölf Kandidaten nacheinander auf die Bühne und präsentierten ihre Innovation. Elf hatten PowerPoint dabei, meine Firma ... eine Taschenlampe.

Ansonsten stand nur ein einsames Flipchart auf der Bühne. Die entscheidende Passage in der Rede lautete:

„Wussten Sie, dass von weltweit 100 Computern derzeit gerade mal fünf einen Virenschutz haben? In Ihren Firmen hat das jeder, aber weltweit gesehen und alle Privaten mit eingerechnet sind es magere fünfProzent.“

Meine Kundin blätterte das Flipchartblatt um, und es kam folgende Zeichnung zum Vorschein.

„5 Prozent – das bedeutet: Von 20 Computern, die Sie hier sehen, hat gerade mal einer einen Virenschutz.“ (Sie deutete auf den einzigen ausgemalten Kreis auf dem Flipchart.) „Der Virenschutz befindet sich auf der Festplatte jedes einzelnen Computers vor Ort. Einen Virenschutz können Sie mit einem schützenden Lichtkegel vergleichen: Eine unsichtbare Hand strahlt diesen Lichtkegel über einem Computer aus und schirmt ihn dadurch vor schädlichen Einflüssen ab.“ Jetzt nahm sie eine große Taschenlampe heraus, knipste sie an und hielt sie über einen der gezeichneten PCs, sodass dieser in einen Lichtkegel getaucht war.

„Wir haben nun Folgendes erfunden: Wir schützen nicht mehr den einzelnen Computer vor Ort, sondern wir gehen zurück in die zentrale Zuleitung ...“ (In diesem Moment trat sie mit der Taschenlampe zurück und erzeugte dadurch folgenden Lichtkegel auf dem Flipchart:)

„Und dadurch schützen wir alle Computer, die von hier aus beliefert werden. Wir tun das beim Internet­service-Anbieter und waschen dort in Echtzeit allen Virenmüll aus dem Datenstrom heraus ...“

Es folgten einige Ausführungen über das enorme Marktpotenzial und die Marketingstrategie dieser Erfindung.
Zum Ende der Rede hatten wir uns einen Schlusssatz überlegt, der es in sich hatte. Und so sagte sie mit selbstbewusstem Blick mitten ins Publikum hinein:

„Sie werden noch stolz sein, eine Firma wie uns in Leipzig zu haben! Danke!“

Den Hauptpreis und zusätzliche 20.000 Euro erkannte man meiner Firma zu.

Die PowerPoint-Präsentatoren schauten in die Röhre.